Am Abend des Nationalfeiertages in einer Republik, wo in den Wänden lauschendes Ungeziefer haust und der Schnee einen staatlichen
Sabotageakt darstellt, sitzt im Wohnzimmer ein Kind, alters-, namens- und geschlechtslos und füttert einen Goldfisch, der
alle Nahrung und sonstige lebenserhaltende Maßnahmen zu verweigern scheint. Den Goldfisch hat das Kind am Morgen vor der Türe
gefunden. Nein, falsch. Der Goldfisch hat das Kind gefunden. Das Haus ist leer bis auf das Kind, denn Großvater Kurt steht
draußen vorm Fenster und kann sich nicht erinnern, wieso er sich die Hand verbrannt und was er draußen im Schneetreiben gesucht
hat, während seine Tochter Anne durch eben dieses Schneetreiben irrt, um Kurt zu suchen. Ausgerechnet heute durfte er unter
keinen Umständen das Haus verlassen, denn man weiß, dass er ausgerechnet heute gerne Streit führt gegen eine Instanz, die
Anne "Heimat" nennt, für eine Instanz, die Kurt "Gott" nennt. Ein Gott, den man produktiv abgeschafft hat. Ein Gott, der überall
abgeschafft wurde, außer im eigenen Wohnzimmer. Rückwärts läuft die Zeit in diesem Haus oder in diesem Stück ab, rückwärts
sehen wir den Hungerstreik des Goldfischs und die zunehmende Sorge des Kindes, sehen wir Kurt heimlich aus dem Fenster steigen,
sehen wir Anne ihrem entlaufenen Vater folgen, sehen wir ein Kind, das alles sieht. Bis wir am Morgen des ersten Weihnachtstages
ankommen. Und zum ersten Mal sehen wir etwas, was das Kind nicht sieht: Wie der Goldfisch zum Kind kam. Was dem Kind ein Zeichen
der Erlösung war stellt sich als großes Missgeschick im Disput zwei miteinander kabbelnder Instanzen heraus - "Gott" und "Heimat".
Aber was macht das schon. Was macht das schon, ob es der Zufall war, der eine Heimat finden lässt. Was macht das schon, wenn
diese Heimat ein Goldfischglas ist.